Nichts geht mehr

Nichts geht mehr

Wie in meinem letzten Blogpost schon angekündigt, möchte ich gerade über Höhen und Tiefen schreiben. Schon bei der Anfahrt gab es überraschenderweise einige Erkenntnisse für und über mich. Wenn du die verpasst hast, dann schau gerne nochmals nach: Höhen und Tiefen und sehr viele Erkenntnisse.

Erste lange Ausbildungstour

Nachdem wir auf dem Lehrgang zum DAV „Trainer B – MTB Coach“ nun schon zwei erfolgreiche Tage hinter uns gebracht hatten, stand heute eine große Etappe an. Auf dieser sollte jede*r Teilnehmende eine Ausbildungseinheit unterwegs durchführen. Ausbildungseinheit bedeutet, die Zielgruppe (die wir selbst festlegen durften) in einer kurzen Einheit von ca. 20 Minuten zu einem selbstgewählten Thema zu coachen.

Gruppe zusammenhalten

Da das Wetter nicht so dolle war und wir noch ein bisschen das Ende des Regens abwarten wollten, starteten wir im Seminarraum mit einigen Einheiten, die nicht zwingend auf Tour stattfinden mussten. Ich hatte mir das Thema „Gruppe zusammenhalten“ ausgesucht – ein perfektes Herzensangelegenheits-Thema, das vorher besprochen und während der Tour erprobt werden konnte.

Unter meiner Anleitung sammelte die Gruppe 1im ersten Schritt Ursachen und Auswirkungen auf die Tourteilnehmenden, sollte die Gruppe auseinanderfallen.

Ursachen und Auswirkungen wenn Gruppen auseinander fallen.

Im zweiten Schritt erarbeitete sie mögliche Lösungsansätze um die „Gruppe zusammenzuhalten“.

Mögliche Lösungsansätze um eine Gruppe zusammenzuhalten

Die Gruppe einigte sich anschließend auf wenige Punkte, die sie auf einem von ihr festgelegten Abschnitt der Tour erproben wollte.
Hinweis für Erprobungen – oder wie ich so gerne sage: Selbstversuche 🙂

Um den Fokus zu behalten:
Nicht zu viel auf einmal.
2-3 Punkte sind ausreichend.

Ansonsten kann es schnell passieren, dass man sich verzettelt und keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt. Lieber mehrere Selbstversuche mit unterschiedlichem Fokus – der Lerneffekt ist wesentlich größer. Dies gilt sowohl für Gruppen als auch für Einzelpersonen.

Hoch hinaus auf Tour

Bei leichtem Regen gings los. Wir radelten hoch zur Talstation, um mit der Bergbahn von 1.295 Metern über dem Meer auf 2.142 hm zur Bergstation zu gondeln. Also mal eben schlappe 847 Meter Höhendifferenzohne langsame Anpassung für den Körper. Oben angekommen, erinnerte ich die Gruppe nochmals an die selbstgewählte Aufgabe und los gings: steil bergauf die erste Rampe hoch.

Ich kämpfte mich hoch, soweit es ging. Mein Puls war hoch, die Luft kam kaum noch in den Lungen an, meine Muskeln brannten – und ich merkte, dass heute nicht viel ging. Ich machte Pausen, um den Puls runterzubekommen, stieg wieder auf und trat weiter fest in die Pedale. Die Gruppe entfernte sich immer mehr von mir. Als ich einen der Teilnehmer schiebend sah, stieg auch ich ab und schob weiter.

Scham: „Das ist mir so peinlich, dass ich es nicht schaffe.“
Bissle Erleichterung: „Jetzt bin ich wenigstens nicht die Einzige, die schiebt.“

Ich schob, bis ich die anderen erreichte.

Völlig verausgabt

Nach einer kurzen Pause auf einem flachen Stück fuhren wir weiter. Ich merkte schon, dass bei mir gar nichts mehr ging, wollte dies jedoch nicht wahrhaben. Es dauert, bis man sich etwas eingesteht. Mein vorübergehender Anker war die zweite Frau im Bunde. Ich bat sie, mit mir hochzufahren, denn ich befürchtete, dass ich jederzeit in absolute Atemnot ausbrechen könnte – und da wollte ich nicht alleine sein. Sie war so lieb und stimmte sofort zu. Sie fuhr an meiner linken Seite.

Weit kam ich nicht und japste: „Sorry, ich muss leider schieben.“ Ich stieg ab – und sie umgehend auch, mit einem „Ja, kein Problem.“

Zittrig und mit Atemnot

Weit kamen wir nicht mehr. Zittrig, nach Luft ringend, stand ich also am Berg – und nichts ging mehr. Ich versuchte, tief auszuatmen und tief einzuatmen, um mich zu beruhigen. Wir standen da eine Weile, der Rest der Gruppe etwa 100 m entfernt, weiter bergauf.

Da wir uns gefühlt eine Ewigkeit nicht mehr fortbewegten, kam einer der anderen Teilnehmer zu uns und fragte: „Was ist los?“ Wir baten ihn: „Bitte schick unseren Ausbilder runter. Ich kann nicht mehr weiter, und wir müssen uns mit ihm beratschlagen.“ Gesagt, getan.

Beratschlagen und Tourabbruch

Wir bzw. meine Begleitung erklärte ihm die Situation, und wir kamen gemeinsam zum Ergebnis, dass ich runter vom Berg muss und durch die Teilnehmerin zurück zur Unterkunft begleitet werde. Mir fiel ein Stein vom Herzen, und wir drehten zu zweit um.

Höhenmeter um Höhenmeter, die wir langsam hinunterrollten, ging es mir immer besser. Erst bei der Abfahrt erkannte ich, wie unglaublich steil die Auffahrt tatsächlich gewesen war. Kein Wunder, dass ich so verausgabt war – und da kam der Selbstvorwurf:

„Hätte ich doch lieber früher schon geschoben!“

Hätte, hätte, Fahrradkette. Hatte ich nicht – es ist, wie es ist. Die Quittung war da, und mit ihr eine weitere dicke, fette Erkenntnis über mich selbst. Wie die aussieht und was die Konsequenz daraus war, gibt es im nächsten Blogeintrag.

Das Beste noch rausholen

Also hieß es nun: das Beste aus der Situation machen. Zum einen genossen wir die atemberaubende Aussicht auf die Bergwelt vor uns – die Wolken, die Gipfel, die vermuteten Täler, trotz des schlechten Wetters einfach wunderschön. Zum anderen machten wir uns auf die Suche nach kleinen Trails, um zurückzufahren, statt die breite Bergstraße hinunterzurollen.

Mit kleinen Späßen und Hinweisen auf die beeindruckende Landschaft versuchte ich, von meiner eigenen Misere und der leichten Scham abzulenken und die Stimmung aufzuheitern – mehr für mich selbst als für meine Begleitung, glaube ich. Am Ende kamen wir jedenfalls wohlbehalten in Scuol an und ließen uns erst einmal einen Kaffee in der Sonne schmecken.

Einflussfaktoren auf Höhen und Tiefen

Auf dem Berg merkt man schnell, dass drei Dinge gleichzeitig am Werk sind – und sich gegenseitig auch aufschaukeln:

  1. Körperlich-physiologisch – also alles, was mein Körper direkt spürt: Höhenluft, Kälte, Wind, Muskelkater, Hunger – kurz gesagt: die volle Bandbreite an körperlichem Chaos.
  2. Geografisch-topografisch – also das, was die Umgebung von mir abverlangte: steile Anstiege, endlose Höhenmeter, tiefe Täler, in denen man das Gefühl hat, nie wieder herauszukommen.
  3. Mental/psychisch – das Kopfkino, das mir alles Mögliche einredete: Motivation, Konzentration, Selbstvertrauen … oder eben Zweifel, Panik und kleine Katastrophenszenarien.

Wenn gleich mehrere dieser Faktoren zusammenkommen, merkt man sofort: Jetzt wird es richtig anstrengend. Körperlich, geistig – und manchmal auch emotional. Dabei spielen unsere Bedürfnisse eine überraschend große Rolle. Vielleicht kennt ihr die Bedürfnispyramide von Maslow – unser Ausbilder hat sie immer mal wieder erwähnt. Ich dachte mir: Schauen wir mal, wie sie auf mein Bergabenteuer passt.

Die angewandte Bedürfnispyramide

Ganz unten stehen die physiologischen Bedürfnisse. Fehlen die, läuft gar nichts. Auf der Tour merkte ich das sehr schnell: Der Sauerstoff war knapp, mein Herz raste, und das Gedankenkarussell begann – „Krieg ich noch Luft? Schaffe ich das runter? Was, wenn…?“ – klassische Sicherheitsbedürfnisse.

Mein Rettungsanker war meine Begleitung die mich unterstütze und die Gemeinschaft der Gruppe mit der ich unterwegs war – soziale Bedürfnisse. Alles darüber hinaus, wie Anerkennung oder Selbstverwirklichung, war in dem Moment völlig egal.

Die Pyramide sagt zwar, man müsse die unteren Ebenen erst erfüllen, bevor die oberen greifen. Aber wer schon mal 2.500 Meter über dem Meer auf einem schmalen Trail gestanden hat, weiß: Die Ebenen vermischen sich und beeinflussen einander – oft schneller, als man denkt. Und manchmal hilft ein Lächeln der Gruppe mehr als alle Motivationstipps der Welt.

Die Erkenntnisse

Kommen wir nun zu meinen drei wichtigsten Erkenntnissen:

  1. Unbedingt um Hilfe bitten, wenn es mir nicht gut geht. Hilfe schafft Sicherheit.
  2. Ich selbst bin meine größte Kritikerin. Ich wollte den Erfolg erreichen (Wertschätzung), habe mich dabei überlastet und bin gescheitert.
  3. Auf die eigenen Emotionen hören. Negative Gedanken erzeugen Emotionen, die uns etwas sagen wollen – doch ich habe nicht auf sie gehört. Ich nenne sie bewusst nicht „negative Emotionen“, denn wenn wir auf sie hören, können wir entsprechend handeln. Ignorieren wir sie, handeln wir gegen uns selbst.

Reflexionsfragen für Dich

Du hast jetzt meine Geschichte in der Stresssituation gelesen – insbesondere mein tiefes Tief und wie ich versucht habe, damit umzugehen. Vielleicht erkennst Du Parallelen zu Deinen eigenen Situationen. Hier ein paar Fragen, die Dir beim Nachdenken und Reflektieren helfen können:

  • Wie reagierst Du in Stresssituationen?
    Stell Dir vor, Du stehst mitten im Chaos – was passiert zuerst in Dir? Versuchst Du, die Lage zu überspielen, lenkst Dich mit kleinen Späßen ab so wie ich, oder gehst Du eher in Dich und analysierst alles?
  • Welche Strategien hast Du, um Stress zu bewältigen?
    Machst Du bewusst Pausen, holst Dir Hilfe, oder versuchst Du, alles allein zu schaffen? Funktioniert das gut für Dich, oder merkst Du, dass Du Dich manchmal überforderst?
  • Wie wirken diese Strategien auf Dich selbst und auf andere?
    Bringen sie Dich weiter, geben sie Dir Sicherheit, oder verursachen sie vielleicht neue Unsicherheiten?
  • Was nimmst Du aus solchen Situationen mit?
    Gibt es kleine Erkenntnisse, die Dir helfen, beim nächsten Mal ruhiger, sicherer oder effektiver zu handeln?

Die Idee ist nicht, sofort alles perfekt zu lösen. Es geht darum, bewusst hinzuschauen, Dich selbst zu verstehen und kleine Anpassungen zu erkennen, die Dir helfen können – so wie ich es versucht habe, auf meinem Bergabenteuer.

Mein Angebot

Möchtest Du Unterstützung bei der Reflexion von Gedanken und Gefühlen, (diese müssen nicht aus solch einem Bergabenteuer kommen), dann melde Dich gerne bei mir für ein Coaching über Kontakt.

Und wenn Du keinen Selbstversuch mehr verpassen willst, dann abboniere sehr gerne meine Kaninchenpost unter Kaninchenpost abonnieren.

Was wurde eigentlich aus meiner Ausbildungseinheit?


Die durfte ich zu Ende führen. Auf dem Rückweg kam die Gruppe am Café vorbei und „holte uns sozusagen ab“. Zurück an der Unterkunft standen wir in der Sonne, während die Gruppe gemeinsam die Aufgabe „Gruppe zusammenhalten“ reflektierte.

Meine Fragen: Hattet ihr noch weiter auf die Aufgabe geachtet? Wie gut hatte es funktioniert? Welche Erkenntnisse habt ihr gewonnen?

Das Ergebnis: Es waren doch ein bisschen zu viele Punkte, sodass man gar nicht mehr so richtig wusste, worauf man achten sollte/wollte. Der Zwischenfall hatte jedoch gezeigt, wie wichtig es ist, zusammenzubleiben – sonst bleibt eine solche Situation möglicherweise unentdeckt.

  1. Für die Veröffentlichung der erarbeiteten Inhalte und meiner Ausführungen zu den Ereignissen habe ich am Ausbildungsort die mündliche Zustimmung aller Teilnehmenden erhalten. ↩︎

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